Die Verurteilung der beliebten rechtsnationalen französischen Politikerin Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu zwei Jahren Haft per Fußfessel und ihr voraussichtlicher Ausschluss von der Präsidentschaftswahl trifft Frankreich wie ein Donnerschlag. Zwar mögen Gegner von Le Pens rechter Partei frohlocken. Doch das beispiellose Urteil dürfte für die ohnehin schon in der Krise steckende französische Politik schwere Folgen haben.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und Le Pen wird Berufung einlegen, was wahrscheinlich einen jahrelangen Gang durch die Instanzen bedeuten wird. Unabhängig davon ist ihr Ruf durch den Schuldspruch und die empfindliche Strafe ernsthaft beschädigt. Schwerlich wird Le Pen den Politikern anderer Parteien so ungebremst wie bisher die Leviten lesen können. Als Abgeordnete wird Le Pen bis zum Ende der Wahlperiode weiter im Parlament sitzen. Ihre politische Karriere scheint aber vorerst auf Eis gelegt.
Die 56-Jährige strebt seit Jahren in den Élyséepalast, den Amtssitz der französischen Präsidenten in Paris: Unmittelbar und am härtesten trifft sie daher vorerst die mit sofortiger Wirkung verhängte Strafe, nicht mehr für politische Ämter bei Wahlen antreten zu können. Die Strafe ist bei Korruptionsprozessen in Frankreich nicht unüblich. Aber sie durchkreuzt wahrscheinlich Le Pens Pläne, Kandidatin bei der kommenden Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2027 zu werden. Denn es ist fraglich, ob bis dahin ein rechtskräftiges Urteil höherer Instanz vorliegen wird. Und ohnehin gibt es für die Präsidentschaftswahl einen langen Vorlauf, der spätestens in einem Jahr beginnt.
Das ist noch unklar. Das Urteil könnte selbst im Kreis ihrer Sympathisanten ihren Ruf beschädigen - zumal ihre Partei Rassemblement National (RN) für Wahlsiege auch auf die Stimmen der gemäßigten konservativen Mitte setzt. Aber auch das Gegenteil könnte eintreten: Ihre Anhänger könnten sie als vermeintliches Justizopfer noch mehr verehren und ihrer Partei neuen Aufwind bescheren.
Manch ein politischer Gegner dürfte sich angesichts des weitreichenden Strafmaßes die Hände reiben - doch so einfach ist es nicht. Selbst moderate Politiker hatten davor gewarnt, Le Pen mit einem Ämterverbot zu belegen. Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, dass gleiches Recht für alle gelten solle. Doch nun wird die beliebteste Politikerin aus dem Verkehr gezogen - und damit eine, deren Anhänger immer wieder den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen.
Im November hatte Gérald Darmanin, heutiger Justizminister, das Szenario, dass Le Pen mit einem Ämterverbot belegt werden könnte, als «zutiefst schockierend» bezeichnet. «Der Kampf gegen Madame Le Pen findet an den Wahlurnen statt, nicht anderswo.» Er fügte hinzu: «Lasst uns keine Angst vor der Demokratie haben und es vermeiden, den Unterschied zwischen den "Eliten" und der großen Mehrheit unserer Mitbürger noch weiter zu vertiefen.»
Zuletzt hatte Le Pen auf einen gemäßigten Kurs gesetzt: Verantwortungsbewusstsein statt Krawall, lautete die Devise meist bei den Debatten im Parlament, in dem es die Minderheitsregierung des Zentrumspolitiker François Bayrou ohnehin schon schwer hat. Le Pen verzichtete bislang darauf, die Misstrauensvoten des linken Lagers zum Sturz Bayrous zu unterstützen. Ob sich das nun ändert und die Partei auf ein Anheizen der politischen Krise setzt, muss sich zeigen. Davon wird auch abhängen, ob Präsident Emmanuel Macron nun in schwieriges Fahrwasser gerät.
Was Le Pens Partei von dem Urteil hält, machte der Vorsitzende Jordan Bardella umgehend klar: Er bezeichnete es als Todesstoß für Frankreichs Demokratie.
Das Risiko, das Darmanin aufgezeigt hat, gilt nicht nur für Frankreich - sondern auch für Europa insgesamt. Das rechtspopulistische Lager dürfte den Urteilsspruch ausschlachten, indem es versucht, Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz in demokratischen Staaten wie Frankreich zu befeuern.
Und Reaktionen folgten prompt: Italiens Vize-Regierungschef und Chef der Rechtspartei Lega, Matteo Salvini, sprach von einer «Kriegserklärung», mit der man die frühere Präsidentschaftskandidatin aus dem politischen Leben ausschließen wolle. Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban, der sich zuletzt deutlich an Le Pen angenähert hatte, bekundete mit einem «Je suis Marine» («Ich bin Marine») auf X Solidarität mit der Rechtspolitikerin - als wäre diese Opfer einer von politischen Gegnern kontrollierten Justiz geworden.
Und auch über Europa hinaus sorgte das Urteil für Reaktionen. Der Kreml in Moskau kritisierte es als Verstoß gegen demokratische Regeln. «Unsere Beobachtungen in den europäischen Hauptstädten zeigen, dass man keineswegs zurückhaltend ist, im politischen Prozess die Grenzen der Demokratie zu überschreiten», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau.
Nicht ausgeschlossen, dass auch die höchste Ebene in den USA darauf reagiert. US-Vizepräsident J.D. Vance hat den eigentlich mit den USA verbündeten Staaten in Europa vorgeworfen, Meinungsfreiheit und gemeinsame demokratische Grundwerte einzuschränken. US-Präsident Donald Trump hat das Vorgehen der Justiz gegen ihn immer wieder als «Hexenjagd» bezeichnet und die politischen Gegner der Demokraten bezichtigt, ihn so als Präsidenten verhindern zu wollen - wenn es nicht an den Wahlurnen geht.
Seit November 2022 ist Bardella Chef des Rassemblement National. Damit endete eine Ära: Denn der Name Le Pen steckt in der Identität der Partei - und dem Vorgänger Front National. Der kürzlich verstorbene Vater von Marine Le Pen, Jean-Marie Le Pen, hatte die rechtsextremistische Front National gegründet. Seine Tochter benannte die Partei 2018 um - im Bemühen, ihr ein moderateres Gesicht zu geben. Der Wechsel an der Parteispitze galt als Fortsetzung dieser Strategie.
Erwartet wird, dass Bardella sich nun in Stellung für die Kandidatur 2027 bringt. Erstmals hatte Le Pen am Wochenende in einem Interview bekräftigt, dass Bardella das Zeug dazu habe, Präsident zu werden. Doch es ist fraglich, ob Le Pen so einfach zu ersetzen ist. In der heutigen Stimmungslage würde sie als Favoritin in eine Präsidentenwahl ziehen. Noch dazu hat der 29-Jährige deutlich weniger politische Erfahrung als sie, auch wenn der eloquente Jungpolitiker in den Medien omnipräsent ist.
Eine klare Prognose darüber zu treffen, was in zwei Jahren bei einer Präsidentenwahl in Frankreich passiert, ist jedoch unmöglich - das Land ist für spontane Entwicklungen bekannt. Das hatte nicht zuletzt der jetzige Präsident Emmanuel Macron gezeigt, der innerhalb kürzester Zeit erstaunliche Popularitätswerte erreichte und 2017 Präsident wurde, obwohl ihn drei Jahre vor der Wahl außerhalb der Pariser Polit-Blase kaum jemand kannte.
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